Kultur der Paranoia Drucken
Geschrieben von: Baraka   
Sonntag, den 19. September 2010 um 14:53 Uhr

Am vergangenen Wochenende hatte sich der Tag der Anschläge des zur Redewendung gewordenen 11. September zum neunten Mal gejährt. Mit ihm der Beginn einer der ultimativsten und meistgeglaubten Verschwörungstheorien der Geschichte. Das paranoide Propagandamärchen von Osama bin Laden, seiner Terrororganisation und dessen Flugzeugräubern trägt Züge eines modernen religiösen Mythos.

Das politische Establishment der korrupten und degenerierten westlichen Welt steht geschlossen zu ihr, denn es braucht Paranoia, um ihren eigenen Terror, gegen ihre eigenen Bevölkerungen, zu legitimieren. Die Verschwörungstheorie vom islamistischen Terror spaltet Gesellschaften, schürt Angst, Misstrauen und Hass unter den Menschen und beschwört einen neuen Konflikt, einen regelrechten Kampf der Kulturen herauf. Zu Beginn des 21. Jahrhundert, und ungeachtet der Ereignisse des 20. Jahrhunderts und des ihm vorangegangenen Mittelalters.

Die selbsternannte "Moderne" des liberalen Bürgertums, auf deren geistige Wurzeln zwei Weltkriege, der Holocaust, der Kalte Krieg, permanente Rezessionen und der systematische Abbau sämtlicher Grundrechte zurück gehen, ist letztendlich nur eine "moderne", bürgerliche Variante des Mittelalters. Paranoia und Verschwörungstheorien sind zentraler und charakteristischer Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft des westlichen Kulturkreises.

Der innere Verfall dieser Gesellschaften korreliert mit einem permanenten Hang der etablierten Obrigkeitsstaatsstrukuren in offene Diktaturen auszuufern. Den geistig-propagandistischen Unterbau dafür liefern Verschwörungstheorien, von der Infektionstheorie und Klimaerwärmung, über den Sozialschmarotzer bis hin zum islamistischen Terrorismus. Ihre Vorbilder liegen in mittelalterlich-religiösen Wahnvorstellungen von Dämonen und Hexen begründet. Jede Zeit sucht sich ihre eigenen Feindbilder und ihre eigene Inquisition. Der Zweck ist immer derselbe: Macht.

Hauptinstrument des Machterhaltes und des Machtausbaus gegenwärtiger bürgerlicher Herrschaftsordnung ist primär das Zinskapital und der von diesem initiierte Verschuldungs- und wiederum darauf basierender Wachstumszwang. Eine Ökonomie, die zu blindem, rücksichtslosem Wachstum verdammt ist, schafft sich ihre lukrativsten Absatzmärkte über Krieg. Dementsprechend ist die westliche Kultur nicht nur eine Kultur der Angst, sondern auch des Krieges.

Krieg gegen Krankheiten, Krieg gegen Hunger, Krieg gegen Umweltzerstörung, Krieg gegen den Klimawandel, Krieg gegen den Terror - all dies sind nur einige, und in regelmäßigen Abstände massenkompatibel isnzenierten Kriegsschauplätze massenmedialer Propaganda und Agitation. Den Nährboden dieses bürgerlichen Kriegsfetischs liefern aber die alles bestimmenden Angstzustände, Feindbilder und Bedrohungsszenarien, deren systematisches Schüren jeder Kriegspropaganda voraus geht.

So werden Verschwörungstheorien zu den geistigen Grundlagen einer ganzen Kultur. Besonders ihrer eigenen Polarisierung, inneren Zerrüttung und des dementsprechend unentwegten Kampfes gegen sich selbst. Zum Einen gibt es die subkulturellen, oft esoterisch angehauchten, politisch und akademisch verurteilten, diffamierten, unkorrekten Verschwörungstheorien, die zumeist einen Scheinwiderstand gegen das etablierte Herrschaftsgefüge etablieren, tatsächlich aber ein systemimmanenter Teil davon sind.

Auf der anderen Seiten gibt es die diesen diametral entgegen gerichteten, politisch und akadamisch korrekten, massenkompatiblen und massenmedial systematisch verbreiteten Verschwörungstheorien, die innerhalb kürzester Zeit den Status von Ersatzreligionen annehmen. Und die repressiven und tendenziell stets totalitären Herrschaftsstrukturen legitimieren. Insbesondere die unablässige Kriegführung, die zur moralischen Norm bürgerlichen Denkens und Handelns geworden ist.

So hat die Verschwörungstheorie vom islamistischen Terror, der die westliche Welt bedrohe, maßgeblich und zentral getragen vom Mythos von 9/11, nicht nur den Terror westlicher Regierungen, Militärs und Geheimdienste gegenüber den eigenen Bevölkerungen massiv verschärft, sondern darüber hinaus auch zahlreiche Kriege, bzw. dauerhaft lukrative Kriegsschauplätze etablieren können.

Das zentrale Machtkonzept bürgerlicher Herrschaftsordnung ist der Krieg. Krieg, der nicht nur offen, sondern bereits moralistisch und propagandistisch geführt wird, in dem Menschen systematisch Feindbildern und Bedrohungsszenarien ausgeliefert werden, die zumeist und zu großen Teilen, oder sogar vollständig, nur in der durch permanente Propaganda vergewaltigten Fantasie der Menschen existieren.

Krieg, der nicht nur um Ressourcen und aus geopolitischen Strategien geführt wird, sondern letztlich auch aus dem ökonomischen Zwang heraus, durch Gewalt und Zerstörung dauerhafte Absatzmärkte zu erschließen. Sowie politisch dauerhafte Konflikte, Polarisierung und Spaltungen, sowohl innerhalb einer Gesellschaft, wie auch zwischen verschiedenen Kulturen. Verschwörungstheorien und die Kriege, die diese legitimieren, sind grundlegender Teil des Herrschaftsprinzips des "Teile und Herrsche".

Paranoia und Angst lähmt die Menschen, schürt Misstrauen, Hass und einen Zwang zu unablässigem Kampf. Vertrauen und Gemeinschaft werden erodiert, und für manipulative moralistische Propaganda und obrigkeitsstaatliche Repressalien und Bevormundungen empfänglich. Ein solcher permanenter Kampf gegen irrationale Bedrohungsszenarien leitet Menschen fehl und lässt sie sich an ihren paranoiden Zerrbildern aufreiben.

Eine gelähmte, fehlgeleitete und innerlich zerrüttete Gesellschaft verkörpert die leicht manipulierbaren, kontrollierbaren und letztlich beherrschbaren Untertanen, welche die bürgerliche Herrschaftselite braucht, um ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren und durchzusetzen. Genau darin liegt gewissermaßen auch die Tragik, vielmehr aber letztlich die Perfidität derartig faschistischer, da moralistisch-selbstlegitimatorischer Herrschaftsstrukturen.

Denn die bürgerliche Aristokratie, die sich über die von ihr selbst verursachte Irrationalität und Unmündigkeit durch systematisches Schüren und Begünstigen von Angst und Paranoia legitimiert, ist ein Herrschaftsgefüge, das auch der rassistischen Willkür ihrer eigenen ökonomischen Wachstums- und Verschuldungsprinzipien und der diesen völlig unterworfenen politischen und gesellschaftlichen Programmatiken und Prozessen unterworfen ist.

Und aus diesem Grunde selbst einen permanenten Kampf um die Kontrolle ihres Machtgefüges führt. Und zwar mehr oder weniger im Geheimen, in Plangruppe, elitären Zirkeln, Geheimtreffen und Hinterzimmern. Und somit viele politisch und akademisch unkorrekten Verschwörungstheorien zwar beileibe nicht wahr macht, aber zumindest notwendig. Und auf diese Weise das System der Polarisierung aufrecht erhält. Oder anders ausgedrückt: Das elitäre bürgerliche Machtgefüge erhält sich eben primär und zentral durch Paranoia selbst aufrecht.

Genau dies bildet letztlich auch das zentrale Charakteristikum faschistischer Herrschaft. Durch das systematische Erzeugen und Schüren von Angst und Krieg schafft sich lbürgerlich-iberale Ausprägung Herrschaft die irrationalen Gesellschaftsbedingungen, auf deren Grundlage sie sich selbst, moralistisch und akademisch legitimiert.

Auf diese Weise, und aus diesem Grund, sind Verschwörungstheorien, ob politisch und akademisch korrekt, und Teil permanenter massenmedialer Propaganda, oder unkorrekt, und im Fokus massenmedialer Inquisition, fundemantaler Bestandteil der westlich-abendländischen, bürgerlich-liberal geprägten Kultur und dementsprechend auch Grundlage ihrer geistig-psychischen Verfassung bzw. Zerrüttung und Labilität.

Paranoia ist die wesentliche Ursache für die Unterwürfigkeit, Ohnmacht und Perspektivlosigkeit eines Großteils bürgerlich-sozialisierter Menschen ist, die wiederum den Nährboden für den Glauben an Verschwörungstheorien, bis hin zu einer regelrechten Angstsucht darstellen. Und ebenso die Grundlage für die bürgerliche Herrschaftsordnung bilden. Die ihre Macht aus dem devoten Masochismus derjenigen bezieht, die sich Verschwörungstheorien in blindem Glauben, fernab jeglicher Vernunft unterwerfen.

Dies gilt für das gesamte Spektrum herrschaftlich organisierter und geschürter Paranoia. Für Islamisten ebenso, wie für Sozialschmarotzer, pathogene Viren, Treibhausgase oder die Erbsünde und den Leibhaftigen. Vom gegenwärtigen, anhaltenden Mittelalter zu wirklicher, erfolgreicher Aufklärung und Säkularisation ist es dementsprechend noch ein langer Weg.

Eine Sackgasse obendrein, solange der Mensch in Denk- und Erfahrungsmustern mittelalterlicher Paranoia stecken bleibt. Solange Menschen kollektiv die paranoide Kompensation persönlicher Ohnmacht und Hilflosigkeit, Minderwertigkeits- und Schuldkomplexe der Vernunft und der eigenen, daraus abgeleiteten Würde und Freiheit vorziehen.

Solange Schuld und Paranoia, und mit ihnen Verschwörungstheorien und das zwanghafte Bekämpfen von Feindbildern, psychische und ideelle Grundlage einer ganzen Gesellschaft, und somit die zentralen Charakteristika ihrer Kultur sind, solange werden eben diese Gesellschaften innerlich zerrissen, gespalten, verängstigt, labil und letztlich politisch handlungsunfähig bleiben. Und gemäß einem aufgeklärten Verständnis dementsprechend unfrei und elitären, hierarchischen Machtstrukturen unterworfen.

Der Terror des 11. September hat sich zum neunten Mal gejährt. Und mit ihm eine anti-islamische Verschwörungstheorie, welche die Ereignisse erklären und ihre Hintergründe verschleiern soll. Deren kultisches Ausmaß ihr Verständnis erleichtern soll, indem sie Vernunft und Mündigkeit unterwandert und pervertiert.

Und das Freiheitsbedürfnis der Menschen mit einem Sicherheitsverlangen überlagert, das ihrer Entrechtung Tür und Tor öffnet. Dies ist der unmittelbare Zweck jeder politisch und propagandistisch instrumentalisierten und verselbstständigten Verschwörungstheorie. Eine durch Paranoia polarisierte, sowie gelähmte oder fehlgeleitete und damit politisch handlungsunfähige Gesellschaft.

Eine Gesellschaft, in welcher der Leibhaftige, in welcher Gestalt auch immer, in jeder dunklen Gasse lauert, kann nicht einmal davon träumen, aufgeklärt und vernünftig zu sein. Und ebenso wenig davon, frei zu sein. Denn das aufgeklärte Verständnis von Freiheit, als philosophische Kategorie, bzw. soziokulturelle Metapher, bedeutet vor allem eines: Die individuelle Handlungsfähigkeit jenseits ideologischer, paranoider Willkür.

Sie bildet die kollektive bzw. soziale Grundlage für die politische Handlungsfähigkeit, und damit letztlich für eine freiheitliche Gesellschaft. Und dementsprechend notwendig ist Aufklärung jenseits paranoider Propaganda. Insbesondere heute, im Zeitalter der Verschwörungstheorien, muss Aufklärung vor allem dieses bedeuten: Den Ausgang aus machtpolitisch verschuldeter Unmündigkeit.

Sollte den Weg dahin insbesondere auch die paranoide Subkultur der selbsternannten "Wahrheitsbewegung" ebnen, wäre dies gewiss eine grandiose Ironie des Schicksals. Desselben Schicksals, dessen Zaunpfähle nicht selten so manchen Menschen noch paranoider machen, als er es ohnehin schon gewesen ist. Mit derselben dogmatisch-religiösen Attitüde, die den meisten politisch korrekten wie unkorrekten Verschwörungstheorien zugrunde liegt, lässt sich einem imaginierten Schicksal oder Gott also ein rabenschwarzer Humor attestieren.

So finster, dass bei ausreichender Paranoia die alte gnostisch-manichäische Schlussfolgerung gar nicht so abwegig erscheint, dass jener Gott vielleicht doch der derselbe Leibhaftige sein muss, der in jeder dunklen Ecke auf die Menschen und ihr Seelenheil lauert. Ein Gott, der uns seit dem Mittelalter, selbst wenn nicht in Gestalt eines gehörnten und geflügelten Dämons erscheint, dafür dann aber mit dem freundlichen Rauschebart eines Taliban.

Der Gott der postmodernen, glattrasierten, grenzpädophilen Prediger von heute bleibt dagegen zumeist ein unförmiges, seelenloses, flinkes und schreckhaftes Gespenst. Der Gott des Liberalismus nennt sich Kapital. Nicht das Buch von Marx, sondern das echte fiktive, völlig ungedeckte (Zins-)Kapital. Dessen Erlösungsdoktrin ist der Markt. Seine Dogmen manifestieren sich in all den Heilsversprechen wie Verschwörungstheorien gleichermaßen, wie sie entweder von massenmedialer Propaganda oder von subkultureller Paranoia tagtäglich frisch zubereitet werden.

Das Kapital ist der postmoderne Gott des liberalen Bürgertums. Und wie jede Gottheit mittelalterlicher, voraufgeklärter, dogmatischer und institutionalisierter Religon verlangt es blinden Gehorsam, Unterwerfung, Kontrolle und Gefolgschaft. Und zerrüttet, unterwirft und kontrolliert es die Menschen mit einer Schulddoktrin. Solange das Kapital die Gesellschaft beherrscht, und nicht umgekehrt, solange werden auch Paranoia und Schulden, und mit ihnen Verschwörungstheorien und Schuldkomplexe die Gesellschaft und das Denken und die Wahrnehmung der Menschen beherrschen.

Und ihnen auf diese Weise ihre Freiheit nehmen. Nämlich die Fähigkeit zur Vernunft und damit ihre politische Handlungsfähigkeit. Genau diesen primären Zweck erfüllen Verschwörungstheorien letztendlich. Die Legitimation, Etablierung und Expansion elitärer, hierarchischer Machtstrukturen. Und somit von Herrschaft. Durch das Kapital und dessen universelle Schulddoktrin. Und durch die Kompensation von Schuld, Ohnmacht und Unterwerfung durch Angst und Krieg.