Vorbild Tunesien Drucken
Geschrieben von: Baraka   
Sonntag, den 16. Januar 2011 um 17:07 Uhr

Jetzt machen es auch die Tunesier vor. Ähnlich wie bereits die Franzosen, die Griechen, oder wie vor einiger Zeit auch Protestler in Rom oder London. Nur eine Gesellschaft im Aufstand hat wenigstens die Aussicht darauf, ein autoritäres System zu Fall zu bringen. Darin liegt die Bedeutung der Vorgänge in Tunesien für insbesondere auch die westliche Welt. Denn um autoritäre, korrupte, mafiöse Machtstrukturen zu finden, muss man nicht über das Mittelmeer schauen, auch nicht in den Mittleren Osten, oder nach Ungarn oder Weißrussland.

Diktatur beginnt vor der eigenen Haustür, egal in welchem Land. Diktatur beginnt bereits dort, wo liberale Parteienstaaten eine parlamentarische, ministerialbürokratische und vor allem in Hinterzimmern von Juristen und Lobbyisten geprägte Herrschaft ausüben und demokratische Prozesse damit unterwandert, blockiert oder behindert werden.

Gemeint ist damit vor allem ein Gesetzgebungsverfahren, das die Freiheit und Würde des Einzelnen über moralistisch propagierte und aufoktroyierte Allgemeininteressen stellt, mit dem in der Regel obrigkeitsstaatliche und/oder industrielle, vor allem finanz- und großkapitalistische Interessen - eben moralistisch - verschlüsselt werden.

Dies muss deswegen betont und in einen gemeinsamen Kontext mit den Vorgängen in Tunesien gestellt werden, weil die massenmediale Berichterstattung dieses nicht nur nicht tun wird, sondern dazu auch noch ihrerseits durch gezielte Propaganda das hierzulande bestehende moralistische, freiheitsfeindliche Herrschaftsgefüge stützen wird.

Und sobald die Berichterstattung, wie auch die Politik unserer Breitengrade, die tunesischen Proteste instrumentalisiert, um eine (ehemalige) Diktatur zu stilisieren, und dieser, als Gegenentwurf, unter der Maske der Demokratie, die liberale Parteienstaatsdiktatur entgegen zu halten, geschieht genau dies: Dann handelt es sich nicht länger um neutrale Berichterstattung, sondern bereits um Propaganda.

An der Bedeutung und Notwendigkeit eines gemeinsamen Kontextes, der Verbindung des tunesischen Protestes mit der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung in Deutschland und vergleichbaren Herrschaftsgebilden, kann und darf angesichts der Vorkommnisse um Stuttgart 21 oder während des Castor-Transportes im vergangenen Jahr kein Zweifel bestehen.

Auch hier waren es Polizisten, von denen, auf obrigkeitsstaatliches Geheiß, eine systematische Gewalt ausging, die sich – bislang noch! - einzig in ihrem Ausmaß von dem unterscheidet, was in Tunesien bereits dutzende Menschenleben gekostet hat. Die Tote und die Schwerverletzten von Stuttgart deuten aber auch hierzulande das Gewaltpotenzial des polizeilichen Vollstreckungsapparates des etablierten Herrschaftsgefüges an, das keinen Widerstand duldet, diesen sogar in Propagandakampagnen als undemokratisch diffamiert.

Hier beginnt ideologischer Terror: In der Pervertiertung des Ideals von Demokratie als eine repressive, obrigkeitsstaatliche Herrschaftseinrichtung, die Gehorsam und Unterwürfigkeit von der Gesellschaft erwartet und wahlweise als "Ordnung" oder "Freiheit" definiert. Ein solcher Staat ist der deutsche Staat, und er ist es umso mehr unter der politischen Machtausübung konservativer und liberaler Kräfte und ihrer verborgenen antiindustriellen Agenda.

Und einem eben solchen Staat, der von ängstlichen, lethargischen, unterwürfigen und schweigenden Mehrheiten getragen wird, anstatt von der Freiheit und Würde des Menschen, muss Protest und Widerstand entgegen gesetzt werden. Und zwar massenhaft und großflächig. Wie in Tunesien. Dann gibt es eine Chance, den zumindest politischen Machtapparat dieses Landes zu beseitigen, das derzeit begangene Unrecht umzukehren, und aus einem autoritären, moralistischen Parteienstaat eine wirkliche Demokratie zu formen.

So wie es die Tunesier, die Franzosen, die Griechen versuchten und versuchen. Wirklicher und dauerhafter Erfolg wird aber nur dann eintreten, wenn tatsächlich eine Gesellschaftsordnung angestrebt wird, in der die Freiheit und Würde des Einzelnen über autoritäre, nötigende Kollektivinteressen gestellt werden.

Denn ein nationalstaatliches Gesellschaftskonstrukt wird erst dann eine Interessengemeinschaft im politischen Sinne, wenn das menschlichste aller Interessen und Bedürfnisse die Grundlage dieser zu formenden Gemeinschaft bildet. Und dies ist eben die Freiheit und Würde des Menschen, verstanden vor allem als Wehrhaftigkeit und Unabhängigkeit gegenüber der Nötigung und Repression durch Andere, insbesondere auch durch die Willkür zentralinstanzlicher Gewalt.

Weil diese nur selten die Tendenz hat, von allein abzutreten, tut Abhilfe not. Und in dieser Hinsicht kann Tunesien weltweit, ganz besonders auch für die westlichen Staaten ein Vorbild sein. Bislang ist es sogar das beste Vorbild, da zumindest in der Hinsicht erfolgreich, dass es sich bei dem dortigen Aufstand um flächendeckende Massendemonstrationen handelt, und diese zumindest zur Flucht des bisherigen politischen Machthabers geführt haben.

Angesichts der auch in den liberalen Pseudo-Demokratien bereits bestehenden Verhältnisse läuft es auch dort auf derartige Massenproteste als einziges Mittel zur Beseitigung der etablierten antidemokratischen, allerdings unter demokratischem Deckmantel operierenden Herrschaftsordnung hinaus. Die friedliche Alternative wäre die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens.

Eines wirklichen Grundeinkommens, im Sinne einer wirklichen, emanzipatorischen und rechtsstaatlichen Teilhabe- und Existenzberechtigung jedes einzelnen Menschen. Anstelle einer lediglich weiteren sozialstaatlichen Alimentierung, die sich vielleicht Grundeinkommen nennt, aber keines ist. Die obrigkeitsstaatlicher und ökonomischer Willkür und Nötigung ebenso wie der Ruhigstellung und Abrichtung von Menschen weiterhin Tür und Tor öffnet.

Die einzige andere, dritte Alternative wäre es zu warten, bis auch in Deutschland und allen anderen liberalen Schein-Demokratien Verhältnisse wie in Tunesien ausbrechen. Bis die Diktatur in Form eines Polizei-, Überwachungs- und Zwangsarbeitsstaates, in den Händen einer politischen Mafia, offen zu Tage tritt.

Die schwarz-gelben Kapitalhuren sind da bereits auf einem guten Weg. Aber auch die Sozialdemokratie hat alles andere als ein Scherflein dazu beigetragen. Das Hartz IV-Verbrechen unter Federführung der SPD war und ist solch ein Meilenstein für die systematische und offen ausgeübte Entrechtung und Verarmung der Menschen, sowie eine schleichende Deindustrialisierung und Monopolisierung, auf dem Weg in eine neue offene Diktatur.