Arbeitsfetisch vs. Grundeinkommen Drucken
Geschrieben von: Baraka   
Samstag, den 10. Juli 2010 um 00:00 Uhr

Die historische "Untat" des Bürgertums war es letztlich, die dem Liberalismus so gegensätzlichen emanzipatorischen, frühsozialistischen Bewegungen vereinahmt, pervertiert und ideologisch auf eigenen Kurs gebracht, zu jenem nun gemeinsamen Götzen geführt zu haben, nämlich dem bürgerlichen Fetisch der Lohnarbeit als zentraler gesellschaftlicher Sinn des Lebens.

Aus den frühesten emanzipatorischen Arbeiterbewegungen, die ihren Ausbruch aus dieser Menschen- und Lebensfeindlichen Produktions- und Lohnarbeitswelt anstrebten, wurden letzten Endes systemkonforme, nur noch innerhalb dieses Systems operierende Arbeiterbewegungen, die lediglich für bessere Arbeits-, und insbesondere Einkommensbedingungen kämpften, das System selbst aber, genauer gesagt, die inneren, tragenden Strukturen des Produktionsprozesses, nicht länger hinterfragten, stattdessen sogar dessen treibende und stabilisierende Kraft wurden.

Die innerste funktionelle Triebkraft dieses Systems bezeichnete schließlich ein gewisser Karl Marx als den "Fetischismus" des Kapitalismus: Das sich vollkommen verselbstständigte ökonomische Prinzip der Kapitalakkumulation zum reinen Selbstzweck als das tiefe zwanghafte Wesen des kapitalistischen Produktionsprozesses.

Vom traditionellen Sozialismus selbst wird, aufgrund seiner bürgerlichen Konditionierung mit dem liberalen Arbeitsdogma, weitestgehend ausgeblendet bzw. auch ganz grundsätzlich überhaupt nicht verstanden, dass Marx in seine Kritik am kapitalistischen "Fetisch", der nicht nur verselbstständigten sondern auch "verselbstzweckten" Kapitalakkumulation, auch jenen bürgerlichen Arbeits- und Leistungswahn mit einbezog.

Dies war gewissermaßen das eigentliche emanzipatorische Element in seinem Denken, welches sich zu seinen bürgerlich-liberal geprägten Vorstellungen jedoch dementsprechend widersprüchlich verhielt, und den liberaler Ideologie anheim gefallenen sozialistischen Bewegungen dementsprechend unzugänglich war.

Marx und die sozialistischen Bewegungen, die sich auf ihn und sein Werk beriefen, scheiterten daher nicht einfach nur an inneren Widersprüchen, sondern letztlich an den weltanschaulichen Konzeptionen des liberalen Bürgertums, die den Sozialismus gewissermaßen infiltrierten und pervertierten.

Marx' Leistung, neben seiner Kapitalismus-Analyse, liegt aber insbesondere darin, anhand seiner Kritik an dem auf der entfesselt-eigendynamischen Kapitalselbstverwertung beruhenden, die Gesellschaft nahezu vollständig umfassenden und beherrschenden Produktionssystem, den Gegenentwurf einer als Endziel herrschaftsfreien und klassenlosen Gesellschaftsordnung entwickelt zu haben.

Eine Gesellschaft, die ihre nicht länger privatem Produktionsmittel- und Rohstoffbesitz sowie Zinskapital unterworfenen Produktivkräfte für Genuß und Muße statt repressiven, entmündigenden Arbeits- und Leistungskult, Wettbewerbszwang und Profitstreben verwenden kann. Diese Vision trägt, ganz im Gegensatz zu Misanthropie, Sozialrassismus und Lebensfeindlichkeit des Liberalismus, deutlich aufgeklärte, humanistische Züge. Denn sie gesteht dem Menschen die sinnliche und gesellschaftlich-ökonomische Entfaltung ("Freiheit") als gewissermaßen höchstes Gut und Endziel kulturellen Strebens zu.

Auch das Bedingungslose Grundeinkommen stellt einen diametralen Gegenentwurf zum liberalen Arbeitskult und dessen totalitärer Ökonomie dar. Ganz im Gegensatz zum liberalen Nützlichkeitsrassismus wird auch das BGE wird zutiefst von humanistischem Gedankengut getragen.

Das Konzept des BGE beruht, verbunden mit praktischen sozioökonomischen Notwendigkeiten, im ganz Wesentlichen auf der Freiheit und Würde des Menschen, weit weg bzw. im diametralen Gegensatz zur (sozialrassistischen) Nützlich- und Verwertbarkeitsanschauung des Menschen. Allerdings greift das BGE längst nicht so weit hinaus, wie etwa Marx' kommunistische Gesellschaftsvision. Die Verwirklichung des BGEs - die Grundeinkommensgesellschaft - ist kein revolutionäres Projekt, sondern am ehesten noch ein evolutionäres im sozialen Kontext.

Es lässt Raum für weitere Entwicklungen, und legt den Grundstein dafür, indem es den Menschen mit einem von Lohnarbeit entkoppelten Einkommen in ganz neuem Ausmaß ihre Würde zurück gibt und Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbstbestimmung und Teilhabe schafft. Im Gegensatz zur Marx' Gesellschaft ist das Grundeinkommen ein pragmatisches, nahezu sofort umsetzbares Konzept, das nicht auf die Erfüllung eines historisch-anthropologischen Endziels pocht.

Darin liegt einer dieser enormen Unterschiede zwischen dem Grundeinkommenskonzept und dem bürgerlichen Sozialismus, hier konkret in Form der marxistischen Gesellschaftstheorie. Noch genauer in Form eines solchen inneren, dem Liberalismus entfleuchten Widerspruchs, in den sich der marxistische Geschichtsdeterminismus verstrickt hat.

Wenn er nämlich zunächst, eben ganz im liberalen Geiste stehend, eine nationalstaatlich-herrschaftliche Entfaltung des bürgerlichen Produktionssystems in Form einer zentralverwalteten ("sozialistischen") Dressierung und Zähmung desselben postuliert, welches sich anschließend aber auch noch im anthropologisch-deterministischen Sinne der Nationalstaats-, Produktionsmittel- und Herrschaftsfreiheit selbst überwinden muss.

Das Scheitern des "realsozialistischen" Staatskapitalismus, insbesondere als Teil und spezifische Ausprägung des korporativen Wettbewerbs- und Finanzkapitalismus im globalen Kontext, ist umso weniger verwunderlich. Letztlich aber nahm er dementsprechend nur das gegenwärtig nun immer offensichtlicher zu Tage tretende Scheitern des parasitären, Leistungsfetischistischen, jedem natürlichen gesellschaftlichen Bedarf entfremdeten Wachstumskapitalismus und seines originären Kults und Systems der Lohnarbeit vorweg.

 

siehe auch:

Bedingungsloses Grundeinkommen * Jobs on Demand

oder: Taschengeld statt Hamsterrolle

 

 

Die folgenden Textauszüge stammen aus einem Beitrag von Katja Kipping und Ronald Blaschke in der "Neuen Rheinischen Zeitung", der sich ebenfalls mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen insbesondere in seinem Verhältnis zum traditionellen sozialistischen Arbeitsfetisch, im Rahmen einer Kritik von linker anti-emanzipatorischer Grundeinkommens-Paranoia, beschäftigt.

 

Zur möglichen Instrumentalisierbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens

Wider die Froschperspektive

[...]

John Locke ging es bei der bürgerlichen Verherrlichung von Arbeit vor allem um eines: die Rechtfertigung des Privateigentums. Dazu wurde das urliberale Argument, dass der Körper, dessen Aktivitäten und Handlungen nur dem Einzelnen gehören, unzulässig vermengt mit dem Argument, dass das vom eigenen Körper zur Bearbeitung Genutzte infolge der Arbeit privates Eigentum werde. Das eine begründet aber keineswegs das andere. Die Lockesche Argumentation, dass Arbeit die Quelle des privaten Eigentums sei, ist also mehr als kritikwürdig. Dagegen ist zu halten: Individuelle (und auch kollektive) Arbeit ist sowohl von der Aneignungs- als auch von der Verteilungsfrage her schon immer gesellschaftliche Produktion, weil es allen gehörige Güter nutzt und daher in einem bestimmten Maß auch allen gehörige Güter schafft.

Noch besser kann die bürgerliche Privatisierungsideologie von John Locke vor dem Hintergrund eines erweiterten Arbeits- bzw. Tätigkeitsbegriffes und angesichts der fortgeschrittenen gesellschaftlichen Arbeitsteilung kritisiert werden: In einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft kann der Leistungsbetrag des Einzelnen am Produkt kaum noch realistisch bestimmt werden. Alle scheinbar individuellen Produktionen sind in ein komplexes Geflecht bezahlter und unbezahlter Tätigkeiten und Kooperationen eingebunden.

[...]

Aus der Froschperspektive heraus sind die mit der Lockeschen Aneignungs- und Leistungslogik verbundenen zwei Seiten der entfremdeten Arbeit nicht kritisch reflektierbar: Kapital und Lohnarbeit. Wer die Dominanz dieser entfremdeten Formen der Aneignung gemeinschaftlicher Güter in der heutigen Gesellschaft aber nicht erkennt, kann die transformatorische Perspektive von Karl Marx nicht denken. Diese Perspektive richtet sich in ihrer Kritik der Markt- und Warenförmigkeit privateigentümlicher Produktivität auf eine Aufhebung der Unterordnung menschlichen Daseins unter die Bedingungen von Kapitaldominanz und Lohnabhängigkeit.

„Im Vermarktungszwang und in erzwungener Selbststigmatisierung äußert sich der heutige strukturelle Nützlichkeitsrassismus.“
 
Das bedingungslose Grundeinkommen bricht nun auf einer grundsätzlichen Ebene mit diesen Bedingungen: Die individuelle Existenz- und Teilhabesicherung wird von der Privatisierungslogik der individuellen tausch- und mehrwertschöpfenden Arbeitsleistung entkoppelt. Das Brutale der bürgerlichen Aneignungs- und Leistungslogik ist, dass sie nicht nur den Nutzen des Menschen überhaupt kalkuliert, sondern das Nützliche eines Menschen auf dessen Leistung und Verwertbarkeit in der Waren- und Marktgesellschaft reduziert. Eine davon abgeleitete Sozialstaatlichkeit vollstreckt diese Logik selbst noch am länger vom (Arbeits-)Markt Ausgegrenzten. Dieser muss seine Bedürftigkeit nachweisen, sich als Armer selbst öffentlich anzeigen, um sein Recht auf Teilhabe an den gemeinsamen Gütern einzuklagen. In diesen beiden Punkten, im Vermarktungszwang und in erzwungener Selbststigmatisierung, äußert sich der strukturelle Nützlichkeitsrassismus, der neben dem ideologischen und sozialpsychologischen Nützlichkeitsrassismus in der heutigen Gesellschaft besteht.

[...]

 

Der gesamte Beitrag von Katja Kipping und Ronald Blaschke in der "Neuen Rheinischen Zeitung":

Wider die Froschperspektive